Teil
1
Rotterdamer Fliesen des 18. Jahrhunderts in Küche und Toilette
01
Gartenansicht
des Patrizierhauses
Jean-Baptiste
Chermanne (1704-1770), Architekt aus Thuin (Provinz Hennegau in Wallonien),
veränderte im Auftrag des Grafen Alexandre François Groesbeeck (1697-1789) von
1751 bis 1753 das alte Refugium der Abtei von Villers-la-Ville in der rue
Saint-Aubain in ein elegantes Herrenhaus.
Der Zentralbau der
Dreiflügelanlage umfasst einen Teil der Gebäudereste des 17. Jahrhunderts. Bei
den Baumaßnahmen von 1751 bis 1753 wurden die drei Grundregeln der Architektur
des 18. Jahrhunderts, Achtung der Privatsphäre, Suche nach neuen Funktionen und
Verbindung zur Natur beispielhaft umgesetzt.
Im Südflügel wurde
dem Wunsch nach Intimität durch den Bau von Korridoren, die den Zugang von
Bediensteten zu einzelnen Räumen zulassen, Rechnung getragen.
Im Erdgeschoss
konzipierte Jean-Baptiste Chermanne dagegen die Prunkräume in einer Folge, um
Besuchern des Patrizierhauses den Reichtum der Bewohner zu zeigen.
Die Öffnung zur
Außenwelt wurde durch den geschickten Einsatz von Licht mittels Lichtkuppeln
und extrem großen Fenstern gewährleistet.
Bauherr und Architekt
legten großen Wert auf Hauswirtschafts- und Sanitärräume. Für Freunde
historischer Fliesen sind die Bekleidungen der Wände in Küche und Toilette in
der ersten Etage von besonderem Interesse. Sie stammen aus der Bauphase um 1752.
Alte Dokumente
belegen in dieser Zeit den Ankauf großer Menge Fliesen durch Graf Alexandre
François Groesbeeck in Châtelet (Charleroi) für das Hôtel de Groesbeeck und
sein Schloss Franc-Waret. Diese Dokumente nennen leider nur die Lieferungen aus
Châtelet, aber nie die Hersteller der Fliesen. Nach Angaben des Direktors des
Museums werden ‘Joseph Beguin‘ und ‘Le Bauchau‘ in Akten als Lieferanten
genannt.
Küche
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Renaissancekamin
Die große Küche
liegt im rechten Flügel zur Straße hin. Der Renaissancekamin stammt noch aus
der Zeit, als im 17. Jahrhundert zeitweise die Äbte von Villers-la-Ville hier
residierten. Geschwärzte steinerne Skulpturen flankieren als tragende Elemente
den Feuerraum.
Im Bild sieht man
rechts den ‘potager‘, einen Ofen zum Aufwärmen und Warmhalten von
vorbereiteten Speisen und Getränken.
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Linker Teil des
Renaissancekamins mit Blick zur der Straßenseite gegenüber liegenden
Längswand der Küche
Um über offenem
Feuer kochen zu können, mussten die Töpfe entweder Stelzen haben, oder an
einer Aufhängevorrichtung über dem Feuer hängen. Für die letztere Methode
benutzte man eine galgenförmige, schwenkbare Vorrichtung mit einem
höhenverstellbaren Zwischenteil der ‘Kaminsäge‘, dazu einen Kessel oder
Topf aus Kupfer mit Bügel. Die Aufhängung mittels einer ‘Kaminsäge‘ hatte
den wesentlichen Vorteil, dass man durch Höher- oder Tieferhängen des Kessels
oder Topfes die Temperatur regeln konnte. In der Ecke steht ein
Stangenwaffeleisen.
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Küchengeräte
hängen links neben dem offen Kamin vor der Wandbekleidung aus Fliesen der Art
‚‘Landschap in achtkant op gesprenkeld fond met uitgespaarde anjer‘
(Landschaft im Achteck auf gespritztem Grund mit ausgesparter Nelke).
Die Fliesen haben Seitenlängen von 130 – 132 mm. Auf jeder Fliese sind zwei
in schräg gegenüber liegenden Ecken Einstiche von Nägeln der Formbretter aus
dem Herstellungsprozess zu erkennen. Die Abstände dieser Einstichpunkte liegen
bei ca. 165 mm.
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Fliesen mit blau gemalten Landschaften im Achteck auf manganfarben gespritztem Untergrund und ausgesparter Nelke als Eckmotiv.
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Fensterwand zum Innenhof
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Linker Teilbereich der Fensterwand zum Innenhof
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Auf die Fliesenwand
hängte ich eine KODAK-Farb- und Grauskala, um möglichst farbgetreue
Abbildungen in meinen Bericht aufnehmen zu können.
Bei den Fliesen sind starke Farbabweichungen vor allem bei den gespritzten
Untergründen feststellbar.
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Linker
Teilbereich der Fensterwand zum Innenhof
Die Fliesenwände
sind in der Küche vierzehn Fliesen hoch. Dies entspricht von Oberkante Sockel
bis Unterkante profilierter Bordüre einem Maß von ca. 186 cm.
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Eingangstür
zur Küche und Fensterwand Straßenseite
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Rechter
Teil der Fensterwand Straßenseite
Die Außenecken der
Wandbekleidungen wurden scharfkantig ausgeführt. Dazu war es erforderlich, zwei
Seitenkanten auf ca. 45° zu schleifen. Solche scharfkantigen Außenecken sind
besonders anfällig gegen Stossbelastungen.
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‘potager‘
vor der Fensterwand Straßenseite
In
die Arbeitsplatte aus engobierten Fliesen auf tragendem Schamotteuntergrund sind
mit Blei ausgekleidete Heizöffnungen in verschiedenen Größen eingearbeitet.
An der Anzahl der Heizöffnungen ist zu erkennen, dass in der Küche Speisen und
Getränke für große Gesellschaften bereitet wurden.
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Wandbereiche
über dem Herd
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Wandbereiche
über dem Herd
Bei einer Reparatur wurde ein nicht zugehöriges Passstück (unten links) eingearbeitet.
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‘potager‘
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Blick
über den ‘potager‘ in Richtung Eingangstür
Die engobierten
Fliesen haben Seitenlängen von ca. 80 mm.
Engobe, auch als Begussmasse oder Angussmasse bezeichnet, ist ein Oberbegriff
für eine dünnflüssige Tonmineralmasse, die zur Beschichtung keramischer
Produkte dient. Farbige Engoben werden durch den Auftrag mineralhaltiger
Tonschlämmen mit gleicher oder einer anderen Brennfarbe erzeugt und überdecken
die unterschiedlichen Brennfarben des Scherbens.
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Mein
Sohn Norbert beim Fotografieren des linken Eckbereiches der Fensterwand zur
Straße
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Stark
beschädigte Fliesen über der Tür rechts neben dem Renaissancekamin
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Zur Auswertung in der Küche vorkommender Dekore fertigten mein Sohn Norbert und ich am 08.07.2015 127 Aufnahmen von jeweils 2 x 3 Fliesen.
Auflistung
in der Küche vorgefundener Dekore
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Im
Hôtel de Groesbeeck-de Croix gibt es in der 1. Etage eine historische Toilette.
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In dem kleinen Raum
mit zwei abgerundeten Ecken wurden Fliesen der gleichen Art wie in der großen
Küche verarbeitet. Dazu gibt es noch sechs Fliesen mit vier unterschiedlichen
Dekoren der Art ‘Bloempotje in achtkant op gesprenkeld fond met uitgespaarde
anjer, blauw geschilderd, paars gesprenkeld (Blumenvase im Achteck auf
gespritzem Grund, blau gemalt, manganfarben gespritzt mit ausgesparter Nelke).
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Detail
der Wandbekleidung in der historischen Toilette
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Detail
der Wandbekleidung in der historischen Toilette
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Detail
der Wandbekleidung in der historischen Toilette
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Detail
der Wandbekleidung in der historischen Toilette
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Mit
Fliesen ausgekleidete Nische in der rückseitigen Wandfläche
‘Bloempotjes
in achtkant‘
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Interessant sind
individuelle Ausführungen der blauen Landschaften durch die Fliesenmaler trotz
Benutzung gleicher Durchstaubschablonen.
Diese
Differenzierungen fanden wir bei allen Dekoren von denen mehrere in Küche und
Toilette vorhanden sind.
Herstellung
Rotterdamer Fayencefliesen
Zur Fertigung
benutzte man Tonsorten, die meist in der Gegend der Fliesenmanufakturen gefunden
wurden. Zur Qualitätsverbesserung wurden auch Tone aus der Gegend um Doornik
(Tournai) zugesetzt. Aus Urkunden geht hervor, dass zeitweilig auch in geringem
Umfang Tone aus England (Themsemündung) Verwendung fanden. Die Tone konnten
nicht direkt zu Fliesen geformt werden, sondern mussten zur Reinigung und
Vermengung geschlämmt werden. Die Tonschlämme ließ man in flache Becken ab,
damit sie dort trocknen. War die Masse ausreichend trocken, so wurde sie in
Blöcke geschnitten und in feuchten Kellern gelagert, wodurch sich die
Verarbeitbarkeit der Tone nochmals verbesserte. Die Masse musste zusätzlich
noch durchgearbeitet werden, um die geforderte Plastizität zu erreichen. Dies
geschah in Tonmühlen oder durch den „aardetrapper“,
der den Ton mit Füßen stampfte. Nun brachte man den Ton in die Formerei. Die
Formgebung erfolgte durch die „steenmaker“,
die den Ton auf einem Eichenbord zwischen zwei Holzleisten mittels mit Blei
gefüllter Kupferwalze auf eine Dicke von ca. 10 mm ausrollten.
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Formbretter (1) im
Format von ca. 150 x 150 mm wurden nun auf die Tonschicht gelegt. Diese hatten
zwei diagonal in Eckbereichen angeordnete Nägel (2), die es ermöglichten, die
geformten Fliesen von der Eichenbohle zu heben. - Die Einstiche der Nägel sind
übrigens an den Fliesen in noch deutlich zu erkennen. Dann wurden die Fliesen
mit einem Messer (3) unterschnitten auf Maß gebracht. Nach der Formung stapelte
man die Fliesen zum Trocknen um den Brennofen. Die trocknen Fliesen konnten nun
bei einer Ofentemperatur von ca. 1000 C gebrannt werden. Beim Trocknungs- und
Brennprozess schrumpften die Fliesen um ca. 15 %. Der Aufheiz- und Brennprozess
des Schrühbrandes dauerte ca. 40 Stunden. War der Ofeninhalt auf gewünschter
Temperatur ließ man den Ofen abkühlen. Nach etwa drei Tagen konnte er
ausgeräumt werden. Die Fliesen wurden nun auf sichtbare Schäden überprüft
und mit einem Fliesenbruchstück angetickt. Der Klang verriet ob sie frei von
Brandrissen waren.
In der
Glasurwerkstatt mischte man Sand, Soda, Salz, Zinnoxid und Bleioxid und brannte
diese Rohstoffe in einem speziellen Ofen zu einer Fritte, die anschließend zu
einem Pulver gemahlen wurde.
Nun kamen die Fliesen
in die Hände der „witgever“. Sie
schlämmten das Pulver mit Wasser auf und brachten diese dünne Zinnglasur als
Schlämme auf die roh gebrannten Scherben. Nicht zu dekorierende Fliesen kamen
nach einem erneuten Trocknungsprozess zum Glasurbrand in den Ofen, zu
dekorierende Fliesen aber in den Malersaal.
Auf Fliesen der
Dekorart „Landschaft im Achteck auf gesprenkeltem Grund“ legte man zuerst
eine Zinkschablone (Bild 33), die das achteckige Mittelfeld und die vier Nelken
als Eckornamente abdeckte. Durch Reiben mit einem Messer über eine mit
manganfarbener Glasur getränkten Bürste wurde sie auf die freiliegende
Zinnglasur aufgespritzt (Bild 34).
33
Zinkschablone (hier
mit dem Eckmotiv „Nelke“)
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„Sprenkelen“
Aufnahme aus der Werkstatt Westraven in Utrecht 1917
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Für die Bemalung
freiliegender Flächen (1) gab es im Maleratelier als Malhilfen
Durchstaubschablonen (2). Diese wurden wie folgt hergestellt: Man nahm zum
Beispiel eine Druckgrafik, legte sie auf mehrere Lagen Papier und arretierte
alles auf ein Brett aus Weichholz. Nun durchstach man die Konturen der
grafischen Darstellung, die bei diesem Vorgang nur minimal beschädigt wurde.
Die Einstiche auf dem ersten Blatt waren jetzt Hilfe zur Fertigung eines
Vorlageblattes für den Fliesenmaler, indem er die Konturen mit Tinte
nachzeichnete. Die weiteren durchstochenen Blätter konnten als
Durchstaubschablonen Verwendung finden.
Der Fliesenmaler
legte eine Durchstaubschablone auf die zu bemalende Fläche. Mit einem mit
Holzkohlenstaub gefüllten leinenen Säckchen (3) kräftig auf das
Schablonenpapier geklopft, wurden kleine Punkte als Malhilfen durch die
Perforation auf die hochsaugfähige Zinnglasur aufgestaubt (4). Die Fliesenmaler
zogen nun mit einem aus wenigen Kuhhaaren bestehenden Pinsel (5) die Konturen
(6). Ein an die wenigen Haare anschließendes Haarbündel diente als
Farbreservoir. Danach füllte der Maler die Flächen (7) und legte Schatten an.
Einige Maler erleichterten sich ihre Akkordarbeit, indem sie für den
Farbauftrag der Darstellung von Wolken oder dem Laub der Bäume Naturschwämme
nahmen. Auf die bemalten Fliesen wurde abschließend mit einem Quast Bleiglasur
aufgespritzt. Nachdem die Farben getrocknet waren kamen die Fliesen zum zweiten
Brand, dem Glasurbrand, in den Ofen. Zinnglasur, Malfarben – das waren durch
Kobaltoxid oder Manganoxid eingefärbte Glasuren – und die zuletzt
aufgebrachte Bleiglasur verschmolzen beim Brand. Nachdem der Ofen einige Tage
ausgekühlt war konnten die Fliesen herausgeholt werden (8). Nach einer
Endkontrolle waren die Fliesen nun fertig für Verpackung und Versand.
Die Darstellungen von
Herstellung und Dekoration zeigen gleichzeitig auch die Grenzen der Fayencen.
Künstlerische Gestaltung wurde entscheidend durch den vorgegebenen Rahmen
technischer Möglichkeiten bestimmt.
Wer die Technik von
Herstellung und Dekoration kennt räumt jedem der kleinen Gemälde den
gebührenden Platz im Kunsthandwerk ein.
Benutzte Literatur
ANNALES DE LA SOCIÉTÉ ARCHÉOLOGIQUE DE NAMUR TOME XL –DEUXIÈME
LIVRAISON 1933
Textauszug „Enfin, une salle curieuse est la grande cuisine qui occupe
l'aile droite sur la rue. Sa vaste cheminée de style Renaissance date du temps
des abbés de Villers. Ses montants de pierre noircie sont sculptés en
caryatides. Elle possède sa crémaillère à potence en fer forgé. Des
carreaux en faience de Delft aux motifs variés, de tons cobalt et manganèse,
tapissent, à hauteur d'homme, tous les murs de cette cuisine, dont le plafond
est à nervures.“
Bastin, Norbert, Hôtel de Groesbeeck-de Croix, extrait de l’Eventail d’avril
1996, 3
Pluis, Jan, De Nederlandse Tegel
decors en benamingen 1570 – 1930, Derde,
herziene en vermeerderde druk, Primavera Pers, Leiden 2013
Bildmaterial
Musée des Arts
Décoratifs de Namur
Jan Pluis
Herrn Fabrice Giot, Conservateur-Directeur, danke ich für die vielfältige Hilfe vor Ort, vor allem für das Überlassen von Bildmaterial und die Erlaubnis es zu veröffentlichen.
Meinem Sohn Norbert
danke ich dafür, dass er mich nach Namur fuhr und im Hôtel de Groesbeeck-de
Croix historische Fliesenvorkommen fotografierte.
Musée des Arts décoratifs de Namur
Hôtel de Groesbeeck-de Croix
Rue de Saintraint, 3
B-5000 Namur
081 24 87 24
Falls Sie einen Besuch planen, melden Sie sich unbedingt vorher an, da
das Museum zur Zeit wegen Umbauarbeiten für die Öffentlichkeit nicht
zugänglich ist.