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Rotterdamer Wandfliesen des 18. Jahrhunderts
im ehemaligen Franziskanerkloster in Kempen
Geschichte des Klosters
Das ehemalige Franziskanerkloster in der niederrheinischen Stadt Kempen bestand von 1624 bis zur Säkularisation 1802.
Die Gründung des Klosters wurde durch Erzbischof Ferdinand von Bayern unterstützt. Er wollte mit Hilfe der Franziskaner die Gegenreformation am Niederrhein stärken, also evangelische Christen zur katholischen Kirche führen. Während seiner Herrschaft wurden Hexenprozesse mit besonderer Härte durchgeführt.
Mit Hilfe aus Spenden und Vermächtnissen sowie der finanziellen Unterstützung des Kölner Erzbischofs wurde Baumeister Leonard Latom aus dem Marktflecken St. Thönis, dem heutigen Tönisvorst, mit dem Bau eines Konvents beauftragt. Am 25. November 1625, dem Gedenktag der heiligen Katharina von Alexandrien, der Schutzpatronin des Klosters, wurde mit dem Bau begonnen. Zwischen 1627 und 1630 errichtete man in einem zweiten Bauabschnitt weitere Gebäude des Klosters. In einem dritten Bauabschnitt folgte ab 1631 der Bau einer Klosterkirche, die am 29. August 1640 durch Kurfürst Franz Wilhelm von Wartenberg eingeweiht wurde.
Die Bausubstanz des Franziskanerklosters befand sich in der Mitte des 18. Jahrhunderts in sehr schlechtem Zustand.
Vom 5. bis 11. August 1745 weilte Kurfürst Clemens August zur Visitation in Kempen. Nach Besichtigung der desolaten Klostergebäude sagte er spontan finanzielle Unterstützung für die Modernisierung der Klostergebäude zu. In den Jahren 1746 bis 1748 erfolgte nach einem Teilabriss ein Neubau im Stil des Barock.
Kurfürst Clemens August konnte sich im August 1758 vom Zustand der Klosteranlage überzeugen, als er wieder einmal zu Gast in Kempen war.
Er war Förderer und Geldgeber der in Kempen im Stil des Rokoko erbauten Klosteranlage der Franziskaner. Noch heute finden die Stuckdecken im ehemaligen Sommerrefektorium und Kapitelsaal (Rokokosaal) die Bewunderung der Besucher.
Nach der Säkularisation 1802 wurden die Klostergebäude unterschiedlichen Nutzungen zugeführt. Heute ist das städtische Kramer-Museum im ehemaligen Franziskanerkloster untergebracht.
Historische Fliesenarbeiten im ehemaligen Franziskanerkloster
Dem Fliesenliebhaber haben es vor allem die historischen Fliesenarbeiten in den ehemaligen Räumen Refektorium, Kapitelsaal und Klosterküche angetan.
Sommerefektorium
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Ehemaliges Sommerrefektorium des Franziskanerklosters
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Detail der Fliesenbekleidung im ehemaligen SommerrefektoriumDie Fliesen bedecken nicht - wie allgemein üblich - die Wandfläche vom Boden an, sondern bilden einen im Raum umlaufenden Wandfries. Dieser mißt zirka 65 cm in der Höhe und wird von grau lackierten Holzleisten begrenzt.
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Detail der Fliesenbekleidung im ehemaligen Sommerrefektorium
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Die Einzelfliese bildet in Zusammenstellung von vier gleichartigen Fliesen das Motiv. Es ergibt in der Mitte dieser vier Fliesen eine von zwölf Nelken umgebene offene Tulpe. Das manganbraune Dekor weist auf das mit einem weißen Zingulum gegürtete braune Habit der Franziskaner hin.
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Stadsarchief Rotterdam, 3195-62/90
Die alte Nummerierung in brauner Farbe (am oberen Rand) entspricht nicht der Reihenfolge im Musterbuch.Im Archiv wurde im Jahr 1976 eine fortlaufende Nummerierung mit Bleistift vorgenommen. Die alte Nummerierung läuft bis 193, die neue nur noch bis 96.
Das für Kempen passende Blatt trägt die alte Nummer 62 und die neue Nummer 90. Allerdings erfolgte die Farbgebung des Blattes in blau statt manganbraun.In Kreisen von Fliesenkennern wird dieses Motiv mit ‚Violieren‘ bezeichnet.
‚Violier‘ ist eine alte Bezeichnung für Nelke.Unter den vielen Archivdokumenten zu Fliesen enthält das Stadtarchiv Rotterdam ein Musterbuch (Archiv-Nr. 3195) für Fliesenmaler. Es ist von großem Wert für das Studium der Geschichte der niederländischen Wandfliesen.
Frederik Jacobus Kleijn (1819-1881), Fliesenproduzent aus Delfshaven, schenkte das Musterbuch im Juni 1876 zusammen mit einigen losen Musterblättern für Fliesen und Fliesenbilder dem Rotterdamer Archiv.
Der Archivar schrieb damals in die Schenkungsliste, dass die Exemplare ursprünglich von der ‚Tegelbakkersgilde‘ in Rotterdam“ stammten. Das Musterbuch besteht aus einem Konvolut von 59 Blättern mit 96 Zeichnungen. Die meisten Seiten im Format ca. 13,5 x 13,5 cm sind an zwei Seiten beschnitten und die Konturlinien bei sechs Seiten durchbohrt.
Es fällt auf, dass es eine Vielzahl an Motiven und Stilrichtungen enthält.
Die Musterzeichnungen, meist Tuschezeichnungen in Braun, wurden in Blau oder Manganfarben gemalt, es gibt aber auch Kombinationen aus Blau und Manganfarben sowie Gelb und Rot.
Alle Zeichnungen sind nummeriert. Auffallend ist, dass sieben nur eine, 89 Zeichnungen dagegen zwei oder drei Nummern tragen.
Fliesen mit identischem Dekor
Die Wandfliesen im Sommerrefektorium des ehemaligen Kempener Franziskanerklosters sind im Dekor identisch mit denen in der UNESCO-Welterbestätte Schloss Augustusburg zu Brühl.06
Sommerspeisesaal der UNESCO-Welterbestätte Schloss AugustusburgIm Sommerspeisesaal wurde das Dekor ‚Violier‘ sowohl als Vierergruppe als auch als Einzelmotiv blau auf weißem Untergrund verwendet, in Kempen nur als Vierergruppe manganbraun auf weißem Grund.
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Dekor ‚Violier‘ als Vierergruppe diagonal auf weißem Untergrund.
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Das Dekor ‚Violier‘ wurde auch als Einzelmotiv diagonal im Wechsel mit uni weißen Wandfliesen angesetzt.
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Im Sommertrakt von Schloss Augustusburg gibt es auch Flächen in denen das Motiv ‚Violier‘ waagerecht angesetzt wurde.
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Badkabinett der UNESCO-Welterbestätte Schloss Augustusburg
Die Fliesenquadrate aus vier Fliesen des Dekors ‚Violieren‘ stehen im Badkabinett auf der Spitze. Das Dekor wurde hier in Blau auf weißen Grund gemalt, im Sommerrefektorium des Kempeners Franziskanerklosters dagegen in Manganfarbe auf weißem Grund.
In Kempen ist die Vierergruppe fortlaufend angeordnet, und nicht auf der Spitze stehend.
Badkabinett
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Im Badkabinett wechselt das Viererfeld der ‚Violieren‘ jeweils mit einer anderen Vierergruppe ab. Deren Fliesen - mit einem anderen Tulpen-Nelken-Dekor - wurden in Ausspartechnik auf weißem Grund gemalt. Dieser Dekor ‚Kievitseitjes‘ ist im Rotterdamer Vorlagenbuch für Fliesenmaler alt mit 88 und neu mit 32 bezeichnet. In einem Inventurverzeichnis der letzten Rotterdamer Fayencewerkstatt (Van Traa, Schiedamsedijk / Leuvehaven)
aus dem Jahr 1849 wurden diese Fliesen ‚uitgevulde Tulp & Nagel‘ genannt.Stadsarchief Rotterdam, 3195-88/32
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Wandfläche im Badkabinett von Schloss AugustusburgDie Motive ‚Violieren‘ und ‚Kievitseitjes‘ sind jeweils als Viererfeld diagonal angesetzt.
Rokokosaal des ehemaligen Franziskanerklosters
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Der Rokokosaal mit seinen blau-weißen Fliesen und der wunderschönen Stuckdecke wird vom Kulturforum der Stadt Kempen in vielfältiger Weise genutzt. So können bis zu achtzig Personen einer standesamtlichen Trauung beiwohnen.
Die Gemäldegalerie zeigt für die Geschichte Kempens wichtige Persönlichkeiten, darunter auch Kurfürst Clemens August, der sich für die Erbauung des Franziskanerklosters im 18. Jahrhundert einsetzte.
Die Fliesenbekleidung der schmalen Wandstreifen blieb auf den dekorativen Wechsel von blau bemalten Dekorfliesen und uni weißen Fliesen beschränkt.14
Detail des Wandstreifens
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Die im Rokokosaal angesetzten diagonal aufgeteilten Ornamentfliesen werden als „Wezen" nach der blau-weißen Kleidung holländischer Waisenkinder im 18. Jahrhundert bezeichnet. Die Einzelfliese bildet in Zusammenstellung von vier gleichartigen Fliesen das in Kempen gewählte Motiv.
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Stadsarchief Rotterdam, 3195-192/93Unter den vielen Archivdokumenten zu Fliesen besitzt das Stadtarchiv Rotterdam ein Musterbuch (Archiv-Nr. 3195) für Fliesenmaler.
Das Musterbuch besteht aus einem Konvolut von 59 Blättern mit 96 Zeichnungen im Format 13,5 x 13,5 cm.
Das für Kempen passende Blatt trägt die alte Nummer 192 und die neue Nummer 93. Allerdings erfolgte die Farbgebung des Blattes in manganbraun statt in blau.
17 Details der Wandbekleidung aus Rotterdamer Fliesen im Treppemhaus von Jagschloss Falkenlust in Brühl. Markant sind die Rauten aus dem Wappen des Kurfürsten und Hochmeister des Deutschen Ordens Clemens August.
Die Nachwelt dichtete in Erinnerung an Kurfürst Clemens August: „Unter Clemens August da trug man blau und weiß, da lebte man wie im Paradeis.“
So findet man in seinen Schlössern Falkenlust und Augustusburg nur Wandfliesen mit blauer Bemalung auf weißem Grund.
Ein Fakt, der bei der Betrachtung von Fliesen des 18. Jahrhunderts unbedingt zu beachten ist:
In einer Baurechnung von 1731 für Schloss Falkenlust wurden die Rotterdamer Fliesen ‚porcellaine plättgen‘ genannt.
Die Fayencefliesen sollten dem berühmten chinesischen Porzellan zumindest ähnlich sein.
Ehemalige Klosterküche
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Von der ehemaligen Klosterküche ist die Herdstelle mit einer außergewöhnlich großen Takenplatte mit der Darstellung des Urteils des Salomon von 1746 erhalten.
Die Küche wurde mit Arbeits- und Gebrauchsgegenständen des 18. und 19. Jahrhunders eingerichtet.19
Drei Fliesenfelder links vom offenen KaminDie einundachtzig Landschaftsfliesen werden umrahmt und geteilt von Fliesen der Art ‚gevlamd‘.
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Die Landschaftsfliesen mit den Eckmotiven ‚spin‘ zeigen eine sehr spezielle Gestaltung vom Land.
Diese findet man auch im Musterbuch für Fliesenmaler, das sich seit 1876 als Nummer 3195 im Archiv der Stadt Rotterdam befindet.
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Das Blatt ist besonders alt, da es die ursprüngliche Nummer 21 hat.
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Stadtsarchief Rotterdam, neue Nummer 79, alte Nummer 183.
Diese Motive fand ich leider nicht bei den einhundertzweiundsechzig Landschaftsfliesen in der ehemaligen Klosterküche.
Wer sich für die Geschichte der niederländischen Fliese interessiert, sollte an einen Besuch des Städtischen Kramer-Museums in Kempen denken.
Fotonachweis
Stadt Kempen / Matthias Sandmann: 01, 02, 03, 13, 14, 18, 19 20
Schlossverwaltung Brühl / Benedikt Bauer: 07, 08, 09, 12
Stadsarchief Rotterdam: 05, 11, 16; 21, 22
Bearbeitung von Bildern aus Kempen durch den Autor: 04, 05
Autor: 07, 08, 09, 12
Benutzte Literatur
Nienhaus, Brigitte, Wandfliesen der Clemens-August-Zeit im Kramer-Museum in Kempen, in Heimatbuch des Kreises Viersen 1993
Wikipedia
Danksagung
Frau Doris Morawietz - vom Kulturamt der Stadt Kempen - und Frau Christiane Winkler - von der Schlossverwaltung Brühl - danke ich für ihre Hilfe.
Meinem Sohn Norbert danke ich für die Bearbeitung und Veröffentlichung des Berichtes.
Städtisches Kramer-Museum
Burgstraße 19
47906 Kempen
02152-917-4120
www.kempen.de
www.rheinischemuseen.de* Es lohnt sich ein Besuch des Museums im ehemaligen Franziskanerkloster, denn es gibt eine umfangreiche Sammlung zur bürgerlichen Wohnkultur des 16. bis 20. Jahrhunderts.
In den Kreuzgängen sind in Vitrinen Erzeugnisse des Kunsthandwerks wie zum Beispiel rheinisches Steinzeug, niederrheinische Irdenware, Fayencen, Glas und Objekte aus Zinn, Kupfer, Messing und Bronze ausgestellt.
Im ersten Obergeschoss des westlichen Kreuzgangs befindet sich das Münzkabinett.
In der angrenzenden ehemaligen Klosterkirche, der größten Saalkirche des Niederrheins, ist das Museum für Niederrheinische Sakralkunst eingerichtet.* Vor dem Besuch emphielt sich eine vorherige telefonische Kontaktaufnahme.