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Fliesen aus der Rotterdamer Fayencewerkstatt
»aan de Delftschevaart bij de Raambrug«
für das kurfürstliche Schloss in Schwetzingen
Schwetzingen
In der Ebene zwischen Rhein, Neckar, Odenwald und Pfälzer Wald, inmitten der früheren Kurpfalz, liegt etwa 10 Kilometer südwestlich von Heidelberg und etwa 15 Kilometer südöstlich von Mannheim die Stadt Schwetzingen. Wahrzeichen von Schwetzingen ist das Schloss, die ehemalige Sommerresidenz der Kurfürsten von der Pfalz. Sehenswert sind Schloss, Schlosspark, Parkbauten und Rokokotheater.
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Gesamtanlage des Schwetzinger Schlosses (Kupferstich des 18.Jahrhunderts)
Kurfürstliches Schloss
Das Schwetzinger Schloss blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück. Pfalzgräfliche Landbesitzungen wurden für Schwetzingen schon im 13. Jahrhundert erwähnt.
02
Karl III. Philipp von der Pfalz im Harnisch (1661-1742)
J. Ph. van der Schlichten, um 1733
Reiss-Engelhorn-Museen, Mannheim
Aus einer Burg des 14. Jahrhunderts entwickelte sich im 16. Jahrhundert ein Jagdschloss. Die Kurfürsten von der Pfalz, Karl Philipp (1661–1742) und Carl Theodor (1724–1799), ließen das Schloss in Schwetzingen zu ihrer Sommerresidenz ausbauen. Beide versuchten den höfischen Glanz von Versailles zu erreichen.
03
Carl Theodor von der Pfalz im kurfürstlichen Ornat (1724-1799)
Johann Georg Ziesenius, 1744
Kurpfälzisches Museum Heidelberg
Vor allem auf Befehl des Kurfürsten Carl Theodor erfuhren Schloss und Schlossgarten ihre einmalige Ausstattung. Als Carl Theodor 1777 die bayerische Kurwürde erbte und er seine Residenz nach München verlegte, sank die Bedeutung Schwetzingens. 1803 wurde die Kurpfalz aufgelöst. Mannheim und Schwetzingen fielen an Großherzog Carl Friedrich von Baden. Veränderungen des Schlosses und des Schlossparks ergaben sich im Jahr 1806 durch die Heirat des badischen Thronfolgers Carl mit Stephanie de Beauharnais-Napoléon. Das junge Paar wählte Schwetzingen zur Sommerresidenz. Nach dem Tod der Großherzogin von Baden im Jahr 1860 nutzte der badische Hof Schloss Schwetzingen nur noch für wenige Tagesaufenthalte.
Schloss und Schlossgarten wurden Anfang des 20. Jahrhunderts der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und sind jetzt Eigentum des Landes Baden-Württemberg.
Ein Kleinod ist das Teehaus oder ’Porzellanhäuschen’ im Schlosspark. Hier findet man in einer Zweitverwendung angesetzte Rotterdamer Fayencefliesen des 18. Jahrhunderts, die ursprünglich aus der alten Schwetzinger Orangerie stammen.
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Teehaus oder ’Porzellanhäuschen’, im Hintergrund Badhausküche und Badhaus
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Teehaus und Wasserglocke vom Naturtheater aus gesehen
Impressionen aus dem Teehaus
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Dokumente zu den Erwerbungen der Rotterdamer Fliesen in den Jahren 1723 und 1727
Im Generallandesarchiv Karlsruhe und im Gemeentearchief Rotterdam liegen Dokumente, die Auskunft über den Ankauf von Rotterdamer Fliesen für das alte Orangerie- und Ballhaus geben.
1723
Am 21. Februar 1723 schlossen Pieter Courtonne, Kaufmann aus Rotterdam, im Auftrag des Rotterdamer Fliesenfabrikanten Hendrik Schut und Johan Nelissen, Sekretär des Herrn Suter, Regierungsrat und Resident seiner kurfürstlichen Durchlaucht von der Pfalz in den Vereinigten Niederlanden vor dem Rotterdamer Notar Jacobus de Bergh einen Vertrag über die Lieferung von 30.000 Fliesen.
Vor dem gleichen Notar wurde am 23. März 1723 der Vertrag über die Lieferung der dreißigtausend Fliesen nochmals bestätigt und es wurden Zahlungsmodalitäten festgelegt. Als Zeugen unterschrieben Leendert Boer und Dirk Kelk. Hendrik Schut unterschrieb das Dokument vom 23. März 1723 am 30. August 1723 und erklärte, dass er Pieter Courtonne mit Kaufvertrag und Festlegung von Zahlungsmodalitäten beauftragt habe und von ihm zu jeder Zeit richtig informiert wurde.(1)17
Im Generallandesarchiv Karlsruhe liegt eine von Elias Monarque unterschriebene Kostenaufstellung für die Zeit vom 23. März bis zum 30. August 1723 für Bezahlung der 30.000 »steingen«, Fracht von Rotterdam nach Nimwegen und von dort nach Düsseldorf, Provision, Porto und Wechselspesen mit einer Endsumme von 1299 Rthr. 61 kr. Dass es sich bei dem Bau der alten Orangerie nicht nur um ein Winterquartier für Pflanzen handelte, beweist die folgende Überschrift der Aufstellung: »Über die auß special befelch Ihrer Churfurst. Dhlt zu behüeff eines Lustsaals zu schwetzingen auß Holland bestelten 30m porcelaine steingen«. (2)
Im Zusammenhang mit vorstehender Kostenaufstellung steht auch die folgende Mitteilung: »Par ordres de son Exellance Monsieur le Comte de Golstein je aij fait paijer par Mrs Courtonne Marchand a Roterdam ....pour des careau de pourcelaine Dolande La somme de 1740 Fl. Holl....pour Les port Deléttre depuis le mois 8bre 1722 jus a le jour du mois 7bre 1723 2178 fdh. 14 sou.« Das Dokument ist mit Elias Monarque unterschrieben. (3)
1727
Mannheim, 1727 Feb. 7: Oberstburggraf Franz Joseph Graf von Wieser erstattete dem Kurfürsten Bericht über die Arbeiten, die noch zur Fertigstellung des Orangeriegebäudes zu erledigen wären. Er forderte für die »völlige in Standstellung des orangerie Haußes« Materialien und Gelder an, darunter auch 5000 Fliesen zur Fertigstellung der Nebenflügel. »2do werden erfordert zu den Nebenflügelen in die Ständte 5000 dellfter porcellaine platten, welche gleich denen vorigen von düßeldorff müßen beschrieben werden, so dan die farben zwischen die Stuccator arbeith.« (4)
Es ist davon auszugehen, dass die 5000 Fliesen von Düsseldorf aus wieder in Rotterdam bestellt wurden. Die Anforderung des Oberstburggrafen belegt, dass der Sammelbegriff »Delfter Porzellan« für niederländische Fayencen schon im 18. Jahrhundert benutzt wurde.
Mannheim, 29. April 1727: Oberstburggraf Franz Joseph Graf von Wieser schickte dem Kurfürsten eine Erinnerung, dass noch 5000 Fliesen für die Fertigstellung des Galerie-Saales erforderlich wären: »Euer Churfürstl. Durchl. ruhen noch in gdgster anerinnerung waß gestalten ich bereits im letzt abgewichenen Spät Jahr kurtz zu vor als sich der Churfürstl. Hoff Staa von Schwetzingen hinweg und anhero nacher Mannheim begeben, die unterthänigste anzeige gethan, wie in behuff des Schwetzinger Gallerie Saals noch 5000 stück Porzelinen Plättlein abgehen, davon auch die Proben in zweijerlij Gattung gleich dahmalen Gehorsamst Eingesendet habe; Nachdeme nun darauff noch keine Gnädigste Resolution Erfolget, gleichwohlen aber die gdgste intension dahin gehet, daß sothaner Gallerie-Saal in völligen perfections stand ohn verlanget hergestellt werden solle, ein welches aber in Ermangelung sothaner Plättlein nicht behörend beschehen kann, also habe dißfalß die nochmahlige anErinnerung zu thun gehorsamst nicht ermangeln sollen, und mich zu Euer Churfürstl. Durchl. hohen Hulden unterthänigst empfehlende. Euer Churfürstl. Durchl.« (5)
Transport der Fliesen von Rotterdam nach Schwetzingen im Jahr 1723
In einer von Elias Monarque unterschriebenen Kostenaufstellung für die Zeit vom 23. März bis zum 30. August 1723 für Bezahlung der 30.000 »steingen«, wird auch der Transportweg von Rotterdam nach Nimwegen und von dort nach Düsseldorf beschrieben. (6)18
Johann Ludwig Franz Graf von Goltstein, Präsident der kurfürstlich
en Kammer in Düsseldorf, erhielt im Jahr 1723 die folgenden Frachtpapiere aus Nimwegen:
16 Juni 1723 Voerman Michil Wellen 15 Kisten
16 Juni 1723 Voerman Jan Clostermans 13 Kisten
16 Juni 1723 Voerman Dirck Weijers 12 Kisten
2 Juli 1723 Voerman Michil Wellen 12 Kisten
2 Juli 1723 Voerman Haijmans 8 Kisten
= insgesamt 60 Kisten19
Frachtpapiere des Voerman Jan Clostermans vom 16 Juni 1723 für 13 Kisten
Geht man davon aus, dass in diesen Transportkisten - wie es in Rotterdamer Fayencewerkstätten üblich war - jeweils 500 Fliesen verpackt waren, dann kommt man genau auf die Anzahl von 30.000 Fliesen. Eine Fliese wiegt ca. 235 Gramm. Der Inhalt einer Transportkiste wog demgemäss 117500 Gramm oder 117,5 Kilogramm.
Anzahl der Fliesen aus der alten Orangerie im Teehaus
Bei mehreren Besuchen konnte ich den Fliesenbestand im Teehaus ’Porzellanhäuschen’ überprüfen, zählen und mit Fotos dokumentieren.
Landschaftsfliesen der Art »Landschap in achtkant op gesprenkeld fond met uitgespaarde lelie, blauw geschilderd, paars gesprenkeld«
Kopfwände: 4 x 15 (H.) x 5 (B.) = 300 Fliesen
Längswände: 2 x 15 (H.) x 21 (B.) = 630 Fliesen
= 930 Fliesen
Reiterfliesen der Art »Ruiter; hoekmotief spin; schilderij in blauw«
Kopfwände: 8 x 15 (H.) = 120 Fliesen
8 x 5 (B.) = 40 Fliesen
Längswände: 4 x 15 (H.) = 60 Fliesen
4 x 21 (B.) = 84 Fliesen
= 304 Fliesen
davon original = 269 Fliesen
Insgesamt = 1234 Fliesen
===========
davon Originale = 1199 Fliesen
===========
An der rechten Wand neben der Eingangstür wurden Reiterfliesen in Aufglasurmalerei ergänzt. Es sind 2 x 15 + 5 = 35 Fliesen. Die oberen 5 Reiterfliesen an dieser Wand sind Originale. Das ist leider nur ein kleiner Rest der 35.000 für das Orangerie- und Ballhaus gelieferten Fliesen; doch gibt das Verbliebene uns einen Eindruck der untergegangenen Pracht.
Landschaftsfliesen im Teehaus
20
»Landschap in achtkant op gesprenkeld fond met uitgespaarde lelie, blauw geschilderd, paars gesprenkeld«
Bei Besichtigungen des Porzellanhäuschens dokumentierte ich fotografisch den Fliesenbestand. Bei der Auswertung des Fotomaterials war mir freundlicherweise Herr Jan Pluis, der beste Kenner niederländischer Fliesen, behilflich.
Es gibt im Porzellanhäuschen 65 Landschaftsmotive, wobei einige Motive zusätzlich noch in spiegelbildlicher Darstellung vorkommen.
1 2 3
4 5 6
7 8 9
10 11 12
13 14 15
16 17 18
19 20 21
22 23 24
25 26 27
28 29 30
31 32 33
34 35 36
37 38 39
40 41 42
43 44 45
46 47 48
49 50 51
52 53 54
55 56 57
58 59 60
61 62 63
64 65
Durchstaubschablonen und Zeichenvorlagen für Landschaften
Im Gemeentearchief Rotterdam liegen unter GAR 3056–3062 sieben Durchstaubschablonen, wovon vier Darstellungen Landschaftsfliesen im Porzellanhäuschen entsprechen. Die Durchstaubschablonen stammen von der Gilde der Rotterdamer Fliesenbrenner.
21 GAR 3056 22 GAR 3060
23 GAR 3061 24 GAR 3062
Unter GAR 3195 / 1–96 liegt außerdem im Gemeentearchief Rotterdam ein von der Gilde der Fliesenbrenner stammendes Vorlagenbuch. Es wurde 1876 vom Besitzer der Fayencewerkstatt »Piet Heijn«, Frederik Jacobus Kleijn, der Gemeinde Rotterdam geschenkt, als er diese letzte Rotterdamer Fayencewerkstatt auflöste.
Die Abbildungen sind ca. 13,5 x 13,5 cm groß und zur Anfertigung von Durchstaubschablonen in den Umrisszeichnungen durchstochen. In diesem Vorlagenbuch zeigen die Blätter 45, 51 und 73 Motive von Landschaftsfliesen im Porzellanhäuschen.25
Unterschiedliche Ausführung eines Motivs
25 (GAR 3195-45)
26 (GAR 3195-51)
27 (GAR 3195-73)
Die Rotterdamer Fayencewerkstatt »aan de Delftschevaart bij de Raambrug«
Rotterdamer »Plateel- en Tegelbakkerijen« waren in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts führend in der Fertigung von Fayencefliesen. Eine dieser Werkstätten war die im Zentrum von Rotterdam an der Straße »Delftschevaart« gelegene Werkstatt mit der Protokollnummer 1814. Die älteste Erwähnung dieser Werkstatt geht auf das Jahr 1636 zurück. Hendrik Schut I. »meester-tegelbakker« übernahm 1690 das Unternehmen mit seiner Frau, Hester de Meijer, und führte es bis zu seinem Tod im Jahre 1709.
Sein 1682 geborener Sohn Hendrik Schut II., ebenfalls »meester-tegelbakker«, folgte in der Leitung der Fayencewerkstatt. In die Zeit seines Wirkens fällt die Lieferung von 30.000 Fliesen an den Hof des Kurfürsten Karl III. Philipp von der Pfalz im Jahr 1723. Wahrscheinlich war er es auch, der 1727 noch 5.000 Fliesen zur Fertigstellung der Seitenflügel der Orangerie lieferte. Hendrik Schut II. übernahm von dem bekannten Rotterdamer Fliesenproduzenten und Fliesenmaler Jan Aalmis für die Jahre 1735 und 1736 den Vorsitz der Sankt-Lukasgilde. Im November 1738 starb Hendrik Schut II. In der Leitung der Werkstatt folgten seine Söhne Jacob Schut und Hendrik Schut III.Wurden alle Fliesen in der Fayencewerkstatt des Hendrik Schut II. hergestellt?
Von Rotterdam wurden im Jahr 1723 30000 Fliesen nach Schwetzingen geliefert.
Den jeweiligen Anteil von Landschaftsfliesen »landschap in achtkant op gesprenkeld fond met uitgespaarde lelie« und Reiterfliesen »Ruiter; hoekmotief: spin« konnte ich nicht ermitteln. Wenn auch die Fayencewerkstatt des Hendrik Schut II zu den größeren in Rotterdam zählte, so ist trotzdem davon auszugehen, dass Fliesen für die Lieferung nach Schwetzingen auch in anderen Rotterdamer Fayencewerkstätten gefertigt wurden.
Die Landschaftsfliesen mit der präzisen Bemalung, wie sie heute im Porzellanhäuschen zu bewundern sind, waren die teuersten im Lohn für die Fliesenmaler und auch die teuersten im Verkauf in dem großen Angebot unterschiedlichst dekorierter Fliesen. Geübte Maler arbeiteten an einer Landschaftsfliese im Schnitt eine Stunde. Das waren ca. 12 Stück pro Tag, ca. 72 Stück pro Woche und ca. 3460 Stück im Jahr. Es ist deshalb davon auszugehen, dass nicht alle von Rotterdam nach Schwetzingen gelieferten Fliesen in der Werkstatt des Hendrik Schut II gefertigt wurden. Kollegen –ich denke da vor allem an Jan Aalmis – werden ihm bei der Abwicklung des Auftrags geholfen haben.
Umfang der Fliesenarbeiten im alten Orangerie- und Ballhaus
Unter Berücksichtigung der Kostenaufstellung vom 23. August 1723: «über die auf spezial Befehl Ihrer Churfürstl. Dhl. zu Behurf eines Lustsaahls zu schwetzingen auss Hollandt Bestellten 30/m porcelaine steingen«.... und der Anforderung vom 7. Februar 1727: »2do werden erfordert zu den Nebenflügelen in die Ständte 5000 dellfter porcellaine platten, welche gleich denen vorigen von düßeldorf müßen beschrieben werden, so dan die farben zwischen die Stuccator arbeith« läßt sich der Umfang der Arbeiten schätzen.
Es ist interessant einmal auszurechnen, welche Flächen mit 30.000 bzw. 5.000 Fliesen zu bekleiden waren. Eine Fliese misst ca. 0,132 x 0,132 m. Bei 30.000 Fliesen entspricht dies einer zu bekleidenden Fläche von 522,72 Quadratmeter. Mit den angeforderten 5.000 Fliesen konnte man 87,12 Quadratmeter Wandfläche bekleiden. Aus Kostenaufstellung und Materialanforderung geht also hervor, dass nicht nur Wandflächen im »Lustsaahl« sondern nachweislich auch Teilbereiche der Nebenflügel mit Fliesen bekleidet waren.
Verfall und Abriss des alten Orangerie- und Ballhauses
Nicht fachgerecht ausgeführte Bedachungen führten schon bald am 1728 fertiggestellten Gebäude zu ersten Bauschäden. 1736 wurden Reparaturen am Altan für dringend erforderlich erachtet. Die Balken der Dachkonstruktion waren 1739 schon so verfault, dass mit einem Einsturz des Daches gerechnet wurde. Nach dem Tod des Kurfürsten Karl Philipp und dem Erbe der Kurfürstenwürde durch Carl Theodor im Jahr 1742 heißt es in einer Eingabe an den Oberstburggrafen von Wieser, dass die Decke im Pavillon, der an das Orangeriehaus anstieße (südlicher Pavillon), infolge Regens so beschädigt sei, dass sie herunterzufallen drohe. Hierdurch könnten Wandfliesen, verglaste Türen und Fenster großen Schaden leiden. In einem Bericht Zellers vom 29. Juli 1743 teilte dieser mit, dass die Decke im Orangeriegang infolge des Abfaulens von vier Balken heruntergefallen sei. 1751 ist noch einmal von einer Reparatur des langen Ganges die Rede. Auf Order des Kurfürsten Carl Theodor aus dem Jahr 1753 sollte ein zweiter Orangerieflügel auf der linken Seite des Schlosses erbaut werden. Das alte Orangeriegebäude dürfe aber nicht abgerissen werden, bevor es eine Möglichkeit der Unterbringung der Orangerie und einen geeigneten Saal für die Gäste gäbe. (7)
Demontage, Aufbewahrung und Wiederverwendung von Fliesen aus der alten Orangerie in Badhaus und Porzellanhäuschen
Nachdem der südliche Teil der alten Orangerie schon abgebrochen und eine unbekannte Anzahl Fliesen entwendet worden war, erhielt Schlossvogt Hipper am 7. April 1753 von der Hofkammer den Befehl, »die holländischen Plättlein aus der Orangerie alwohe die Comedie vorhin gehalten worden« zu entfernen und bis zu einer weiteren Verwendung gut aufzubewahren. (8)
Wie viele Fliesen geborgen und wo diese Fliesen aufbewahrt wurden, konnte ich nicht ermitteln. Beim Abbruch der Orangerie wurden wohl viele Fliesen durch unsachgemäße Demontage zerstört. An Fliesen, die im Porzellanhäuschen angesetzt wurden, sind noch Spuren dieser nicht sachgerechten Abnahme, zum Beispiel als Randbeschädigungen, zu erkennen.
Fliesen aus der Orangerie fanden im Ruhezimmer der Kurfürstin in dem von Nicolas de Pigage 1769–1773 errichteten Badhaus Wiederverwendung. Diese Fliesen sind nicht mehr in situ vorhanden und nach 1804 nicht mehr nachweisbar. Sie wurden wohl abgeschlagen, als die Großherzogin Stephanie diese Räume zu einem Gartenappartement umgestalten ließ. (9)
Von den 35.000 Fliesen aus dem alten Orangerie- und Ballhaus sind wahrscheinlich nur die Fliesen im Porzellanhäuschen übrig geblieben.
Reitermotive
Es gibt im Porzellanhäuschen 304 Reiterfliesen (davon 269 Originale) mit 26 Motiven, wobei einige zusätzlich noch in spiegelbildlicher Darstellung vorkommen.
Durchstaubschablonen für Reiterfliesen
Im Rotterdamer Gemeentearchief findet man unter GAR 3105–3119 auch fünfzehn Durchstaubschablonen für Reiterfliesen, wovon zwölf Schablonen Reitermotiven im Porzellanhäuschen entsprechen.
Nachfolgend zwei von fünfzehn Fliesen, für die im Gemeentearchief Rotterdam Durchstaubschablonen liegen:28 29
Trompeter auf Apfelschimmel Durchstaubschablone GAR 3115
30 31
Türke im Reiterkampf Durchstaubschablone GAR 3116
Graphische Vorlagen für Reiterfliesen
Im Kupferstichkabinett Dresden liegen unter A 96182/272 122 bis 272 129 Kupferstiche des Antonio Tempesta (Florenz 1555-1630 Rom). Sie zeigen acht historische Persönlichkeiten.
Den gleichen Stichen wurden 1597 bei einer anderen Serie von Antonio Tempesta Personen aus dem Epos »Orlando furioso« von Ludovico Ariosto (Reggio nell'Emilia 1474–1533 Ferrara), einem Dichter der Renaissance, zugeordnet.
Den historischen Persönlichkeiten entsprechen die folgenden Personen aus dem Epos »Orlando furioso«:
A 96182/272-122 ISABELLA GRATIOSA. / Isabella Gratiosa
A 96182/272-123 IVLIVS CAESAR. / Il Valoroso Ruggiero
A 96182/272-124 CYRVS MAYOR. / Il Danese Paladino
A 96182/272-125 CAMPASPÉ. / La bella Doralice
A 96182/272-126 NINVS. / Orlando Paladino
A 96182/272-127 CASSANDANE. / Marfisa Guerriera
A 96182/272-128 ALEXANDER MAGNVS. / Rinaldo Valoroso
A 96182/272-129 SEMIRAMIS. / Bradamante ValorosaDie Kupferstiche ISABELLA GRATIOSA., CYRVS MAYOR., NINVS., CASSANDANE. und ALEXANDER MAGNVS. dienten in der Rotterdamer Fayencewerkstatt des Hendrik Schut zur Herstellung von Durchstaubschablonen und als Zeichenvorlagen für an den kurfürstlichen Hof nach Schwetzingen gelieferte Fliesen.
Im Gemeentearchief Rotterdam liegen unter GAR 3105–3119 Durchstaubschablonen, die Reiterdarstellungen auf Fliesen in Schwetzingen entsprechen, darunter auch 3106 CYRUS MAYOR, 3109 ALEXANDER MAGNVS und 3114 ISABELLA GRATIOSA.
32 Graphik 33 Schablone GAR 3114 34 Fliese
ISABELLA GRATIOSA
35 Graphik 36 Schablone GAR 3106 37 Fliese
CYRVS MAYOR
38 Graphik 39 Fliese
NINVS
40 Graphik 41 Fliese
CASSANDANE
42 Graphik 43 Schablone GAR 3109 44 Fliese
ALEXANDER MANUS
Zusammenfassung und Würdigung
Die Stadt Schwetzingen beherbergt im Schlosspark das Porzellanhäuschen, ein Kleinod für Freunde historischer Fliesen.
Auf Order des Kurfürsten Karl III. Philipp von der Pfalz kaufte die Hofkammer für die alte Orangerie in Rotterdam in den Jahren 1723 30.000 und 1727 5.000 »porcellaine platten«.
Verursacht durch fehlerhafte Bauweise und durch mangelnde Pflege der Dächer der alten Orangerie verfiel diese recht schnell. Vor dem Abriss der Orangerie wurden 1753 auf Anordnung des Kurfürsten Carl Theodor von der Pfalz »porcellaine platten« geborgen und zur Weiterverwendung aufbewahrt.
Im Porzellanhäuschen schmücken jetzt 1199 dieser Fliesen in Zweitverwendung die Wände. Es sind 930 blau gemalten Landschaften im Achteck auf manganfarben gesprenkelten Grund und 269 Reiterfliesen in blauer Bemalung. Als Eckmotive haben die Landschaften ausgesparte Lilien, die Reiterfliesen Spinnen. Jede dieser äußerst präzise gemalten Fliesen im Format von 13 x 13 cm ist eine kleine kunsthandwerkliche Kostbarkeit und eingehender Betrachtung wert.
Das Porzellanhäuschen ist nicht immer geöffnet. Es ist ratsam, sich vor einem Besuch mit der Schlossverwaltung Schwetzingen, Schloss, D-68723 Schwetzingen, Telefon+49 (0)6202/ 81482, in Verbindung zu setzen.
Öffnungszeiten Schlossgarten:
April bis September: 8.00–20.00 Uhr
Oktober u. März:...... 9.00–18.00 Uhr
November-Februar:.. 9.00–17.00 Uhr
Mein Dank gilt den Herren der Schlossverwaltung, die Zutritt zum Porzellanhäuschen gewährten, Herrn Jan Pluis für die vielfältige Hilfe und Herrn Prof. Siegfried Stahl, der Jan Pluis und mich auf die Fliesen im Porzellanhäuschen aufmerksam machte.
Anmerkungen
(1) Gemeentearchief Rotterdam notaris de Bergh - den Drie en Twintigsten Maart 1723.
(2) G.L.A. 221.No.37, Konvolut 5, Schwetzingen, Schloss und Garten 1723-1733.
(3) G.L.A, Stadt Schwetzingen, öffentliche Bausachen, Konvolut 5 o.O. 1723.
(4) G.L.A., Konvolut 8, Acta das Rechnungs Geschäft des Schwetzinger Schloß und Garten -fort sonstiges Bauwesen betr. De Anno 1721-1733 incl.
(5) G.L.A, Konvolut 5, Schwetzingen , Schloss und Garten 1723-1733, Mannheim, 29. April 1727.
(6) G.L.A. 221.No.37, Konvolut 5, Schwetzingen, Schloss und Garten 1723-1733.
(7) G.L.A. Bauakten, Konvolut 2, "Den zweyteren Orangerie flügel zu Schwetzingen betr. 1753-54".
(8) G.L.A., Konvolut 7, Miscellanea Schwetzinger Schlossbaulichkeiten betr. 1753-54 und 1767.
(9) G.L.A., Bauakten Schwetzingen, Konvolut 3, 1753-55, Vol.2 vom 7. September 1753.
Benutzte Literatur
Arnim, Max: Johann Friedrich v. Uffenbachs Reise durch die Pfalz 1731, Selbstverlag des Mannheimer Altertumsvereins, Mannheim 1928.
Bentz, Bruno und M. v.d. Linden: Dutch Tiles in the Château de Labbeville, in: Glazed Expressions, No. 35, Autumn 1997.
Bentz, Bruno und Wilhelm Joliet: Les cavaliers d'Antonio Tempesta peints sur les carreaux de faïence hollandais importées en France au XVIIe siècle, in: SÈVRES - REVUE de la SOCIÉTÉ des amis du MUSÉE national de céramique N° 8, 1999.
Fuchs, Carl Ludwig: Schloß Schwetzingen, Schwetzingen 1991.
Fuchs, Carl Ludwig: Die Innenraumgestaltung und Möblierung des Schwetzinger Lustschlosses im 18. und 19. Jahrhundert, Diss. Heidelberg 1975.
Gropp, Heinrich: Das Schwetzinger Schloß zu Anfang des 18. Jahrhunderts, Diss. Borna-Leipzig 1930.
Hansmann, Wilfried und Wilhelm Joliet: Viel Tausend Vergnügen mit Falken und Reihern. Die Rotterdamer Fliesen und Fliesentableaus in Schloss Falkenlust zu Brühl, Brühl 2004.
Heber, Wiltrud: Die Arbeiten des Nicolas de Pigage in den ehemals kurpfälzischen Residenzen Mannheim und Schwetzingen, Darmstadt 1986.
Hoynck van Papendrecht, A.: De Rotterdamsche Plateel- en Tegelbakkers en hun product. 1590-1851, Rotterdam 1920.
Joliet, Wilhelm: Die Geschichte der Fliese, Köln 1996.
Joliet, Wilhelm: Dutch Tiles with figures on horseback in Tredegar House, Wales, in: Glazed Expressions, No. 47, Summer 2003.
Klein. Adolf und Justus Bockemühl: Weltgeschichte am Rhein erlebt, Köln 1973.
Martin, Kurt: Die Kunstdenkmäler des Amtsbezirks Mannheim, Stadt Schwetzingen, Karlsruhe 1933 (mit älterer Literatur).
Pluis, Jan: De Nederlandse Tegel decors en benamingen. 1570-1930, Leiden 1998.
Reisinger, Claus: Der Schloßgarten zu Schwetzingen, Worms 1987.
Rentsch, Dietrich: Schloß und Garten Schwetzingen, Karlsruhe 1987.
Santos Simões, J.M. dos: A Casa do Paço da Figueira da Foz e os seus Azulejos, Figueira da Foz 1947.
Santos Simões, J.M. dos: Carreaux Céramiques Hollandais au Portugal et en Espagne, La Haye 1959.
Schwarz, Otto (Hg.): Wegweiser durch den Schlossgarten zu Schwetzingen. Zugleich Katalog aller Sehenswürdigkeiten nebst einer Geschichte der Stadt, des Schlosses und des Gartens, 13. Auflage, Schwetzingen o.J. (um 1925).
Tschira, Arnold: Orangerien und Gewächshäuser - Ihre geschichtliche Entwicklung in Deutschland, Berlin 1939.
Werner, Ferdinand: Der Garten der kurfürstlichen Sommerresidenz Schwetzingen, in: Lebenslust und Frömmigkeit - Kurfürst Carl Theodor (1724-1799) zwischen Barock und Aufklärung. Publikation des Reiss-Museums Mannheim, Band 1.1, Regensburg 1999.
Zeyher, Johann M., Roemer, G.: Beschreibung der Gartenanlage zu Schwetzingen, Nachdruck Freiburg 1983.
Summary
The castle grounds of Schwetzingen include a Porcelain Cottage, a gem for friends of historic tiles. At the instruction of the Prince Elector Karl III Philipp of the Palatine, the treasury bought 30.000 "porcellaine platten" from Rotterdam in 1723 and 5.000 in 1727 for the orangery. Due to construction faults and the lack of maintenance of the roofs, the old orangery went to ruin long before time.
Before the orangery was demolished in 1753, the Prince Elector Carl Theodor of the Palatine ordered to bring out the "porcellaine platten" and store them for future use. 1199 of these tiles now decorate the walls of the Porcelain Cottage.
They consist of 930 octagonal landscapes painted in blue on a speckled manganese background and 269 equestrian tiles, again painted in blue. The corner motifs are recessed lilies for the landscapes and spiders for the equestrian tiles. Each of this tiles painted with great precision in a 13 x 13 cm format is a small artistic treasure and worth viewing in detail.Résumé
La ville deSchwetzingen a dans son parc un pavillon de porcelaine, c'est un véritable trésor pour les amateurs de carreaux historiques.
Sur l'ordre du prince électeur palatin Karl III, l'administration princière a acheté à Rotterdam 30 000 carreaux en 1723, et en 1727 encore 5000 carreaux en porcelaine, pour en décorer la vieille Orangerie. A cause d'une construction défectueuse et à cause d'un entretien insuffisant des toits, la vieille Orangerie tombait vite en ruines.
Avant la démolition, en 1753, le prince électeur Karl Theodor a donné l'ordre de conserver les carreaux en porcelaine pour les réemployer plus tard. Aujourd'hui, les murs du pavillon de porcelaine sont décorés par 1199 de ces carreaux, dont 930 peints en bleu avec des paysages octogonaux sur un fond tacheté couleur manganèse, et 269 carreaux peints de cavaliers bleus. Aux coins, les paysages ont des lys blancs et les cavaliers ont des araignées. Les carreaux(format 13 x 13 cm) sont peints avec précision, chacun est précieux et vaut la peine d'être admiré en détail.
In der Zeitschrift der Gesellschaft der Keramikfreunde e.V.
KERAMOS, Heft 197, Juli 2007, veröffentlichte ich auf den Seiten 21-34
»porcellaine platten« für das kurfürstliche Schloss in Schwetzingen aus der Rotterdamer Fayencewerkstatt »aan de Delftschevaart bij de Raambrug«.In TEGEL 35/2007 veröffentlichte ich auf den Seiten 28-31
»ROTTERDAMSE RUITERTEGELS IN SCHWETZINGEN« (LINK)
TEGEL ist eine Ausgabe der Stichting Vrienden Nederlands Tegelmuseum Otterlo und erscheint einmal pro Jahr.